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In Hamburg kam es gestern Abend zu einer Schießerei, bei der ein Mann durch ein Fenster mehrere Besucher einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas getötet hat. Bei dem Schützen soll es sich um ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas handeln, die sich selbst als Religionsgemeinschaft sehen, von außen aber häufig als Sektierer bezeichnet werden.

Die Veranstaltung fand in deren Gemeinschaftsräumen statt, die die Zeugen Jehovas traditionell „Königreichssaal“ nennen. Die Tat wurde von Zeugen aus der Ferne mit einer Handy-Kamera gefilmt. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei war kurz nach der Alarmierung gestern Abend vor Ort und fand zunächst mehrere erschossene Menschen auf, bei denen es sich wohl um Gemeindemitglieder handelte. Im Obergeschoss wurde dann ein weiterer toter Mann aufgefunden, bei dem es sich wohl um den Schützen/Amokläufer handelte.

Schießerei in Hamburg gegen 21.15 Uhr

Kurz nach 21 Uhr am gestrigen Abend (9.3.2023) gingen mehrere Notrufe bei der Hamburger Polizei ein, die von Schussgeräuschen im Hamburger Stadtteil Alsterdorf/Groß Borstel berichteten. Unter den acht Todesopfern ist der Schütze und auch ein ungeborenes Kind. Als die Polizei das Gebäude stürmte, hörte sie noch einen Schuss, der vermutlich von der suizidalen Handlung des Täters stammte. Die Polizei geht von einem Einzeltäter aus, war aber noch lange in der Nacht mit einem Hubschrauber inkl. Wärmebildkamera über dem Gelände, um weitere Täter auszuschließen und aufzuklären. Eine Spezialeinheit stellte überdies sicher, dass sich im Gebäude keine Sprengfallen befinden. Anwohner berichteten von mindestens 12 gefallenen Schüssen, die ein Täter von außerhalb in das Gebäudeinnere abgab. Die Polizei selbst habe bei dem Einsatz keinen Schuss abgegeben, teilte ein Sprecher mit.

Wer sind die Zeugen Jehovas?

Die Zeugen Jehovas sind eine Glaubensgemeinschaft/Sekte, die auf eine Gründung in USA/New York im 19.Jahrhundert zurückgeht. Sie haben eine eigene Bibel-Übersetzung mit teils eigenen Auslegungen, nannten sich früher Bibelforscher und in vielen Ländern Watchtower Society. Zu den Glaubensgrundsätzen der Zeugen Jehovas gehören u.a.:

  • Man darf kein Blut zu sich nehmen, z.B. auch keine Bluttransfusion nach einem Unfall bekommen oder Wurst essen, in dem Blutbestandteile enthalten sind
  • Man feiert kein Weihnachten, weil Jesus auch kein Weihnachten gefeiert hat
  • Man feiert keine Geburtstage, weil Jesus auch keinen Geburtstag gefeiert hat
  • Frauen sollen sich ziemlich anziehen, dazu gehören regelmäßig lange Röcke statt kurze Röcke oder Hosen
  • Die Gemeinschaft wird vor Ort jeweils von den sogenannten „Ältesten“ geleitet, die Vorträge halten und priesterähnliche Aufgaben vornehmen, z.B. auch bei Beerdigungen Reden halten und in wöchentlichen Zusammenkünften etwas Ähnliches halten wie eine Predigt
  • Sexuelle Beziehungen vor der Heirat sind nicht erlaubt

Die deutsche Zentrale der Zeugen Jehovas liegt in Selters im Taunus. Bekannt sind die Zeugen Jehovas vielen dadurch, dass sie in Fußgängerzonen mit Zeitschriften wie „Wachturm“ oder „Erwachet“ stehen oder von Tür zu Tür gehen und mit Fragen wie „Darf ich Sie mit einem biblischen Gedanken vertraut machen?“ versuchen, neue Mitglieder zu akquirieren. Man geht davon aus, dass in Deutschland ca. 200.000 Menschen zu der Gruppe der Zeugen Jehovas gehören.

Mehrfach den Weltuntergang vorhergesagt

Die Zeugen Jehovas haben nachweislich mehrfach den Weltuntergang vorhergesagt und sich dabei terminlich festgelegt. Dies ist in keinem der vorhergesagten Fälle eingetreten. Seit Jahren predigen die Zeugen daher eher vage, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorstehe und dass bei nur eine kleine sechsstellige Zahl überleben werde. Zu diesen „Auserwählten“ könne man nur gehören, wenn man sich – nach Zeugen-Jehovas-Regeln verhalte.

The Der Täter hatte legal Waffe

Der Täter verfügte legal über eine Pistole, die er bei der Tat einsetzte. Er hatte mehrere Hundert Schuss Munition mit zum Tatort gebracht.

Psychisch auffälliger Täter

Der Täter war vor der Tat anonym angezeigt worden, weil er psychisch auffällig sei. Daraufhin überprüfte man die richtige Verwahrung der Waffe und der Munition (unangekündigt). Man überprüfte allerdings nicht fachmännisch mögliche psychische Auffälligkeiten. Der Täter hatte vor der Tat ein Buch geschrieben und veröffentlicht, in dem er von seinen psychischen Problemen berichtete und wirre Thesen veröffentlichte. Auf einer Homepage pries er Dienstleistungen als Unternehmensberater mit einem Tagessatz von 250.000 Euro (zuzüglich Mehrwertsteuer) an. Das anonyme Schreiben an die Waffenbehörde, dass der Täter psychische Probleme habe und ein Problem mit den Zeugen Jehovas und einem ehemaligen Arbeitgeber habe und man deshalb die Eignung für den Besitz einer Waffe überprüfen möge, wurde nicht mit der Wegnahme der Waffenbesitzerlaubnis verfolgt.

Auszug aus der Homepage des Täters Philipp F.
(Ausschnitt aus seiner Homepage. Die geforderten ambitionierten 250.000 Euro Tagessatz für seine Beratung hat er in der Vergangenheit nicht erhalten und wird sie nun auch nicht mehr erhalten)

Philipp F. aus der Gemeinde ausgeschlossen

Die Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg hatte im Vorfeld den Täter Philipp F. aus der Gemeinde ausgeschlossen. Damit ist bei den Zeugen Jehovas verbunden, dass man das ehemalige Mitglied meidet und keinen Kontakt mehr mit ihm haben darf. Ehemalige Zeugen Jehovas berichten davon, dass ausgeschlossene Ex-Zeugen-Jehovas behandelt werden wie Aussätzige. Die verbleibenden Gemeindemitglieder seien gehalten, den Ausgeschlossenen auch dann völlig fallen zu lassen, wenn man vorher mit ihm befreundet war.

Der 1987 in Memmingen geborene Täter hatte neben der Ausbildung zum Bankkaufmann in München auch ein BWL-Studium vorzuweisen. Allerdings verlor Philipp F seinen Job und machte sich – wohl wenig erfolgreich – selbstständig. Sein bizarres Buch veröffentlichte er im Dezember 2022. Ebenfalls im Dezember erhielt er die Waffenbesitzkarte. Die anonyme Anzeige erfolgte gegen ihn im Januar, woraufhin man am 7.Februar kontrollierte, ob er die Waffen ordnungsgemäß in einem Safe verschlossen aufbewahre. Das war mit Ausnahme eines außerhalb aufgestellten Projektils der Fall. Die Mühe, auch nur einmal seinen Namen in die Suchmaschine Google einzugeben, hatte man sich bei der Überprüfung offenbar nicht gemacht, sonst hätte man sein auch bei Amazon veröffentlichtes wirres Buch mit kruden Theorien sofort entdeckt. Seine Eltern, in deren streng religiösem Haushalt er aufgewachsen ist, werden sich nunmehr fragen müssen, ob der eingeschlagene Weg der richtige gewesen ist.

Von BSF

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